Liturgie erklärt - Die Predigt

Liturgie 25 - Predigt
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Endlich. Der Kanzelgruß ist gesprochen. Der Pfarrer oder die Pfarrerin steht auf der Kanzel, dem Ort der Predigt und dann geht es auch schon los mit der Anrede. Und die ist für mich immer sehr spannend. Manche Kolleginnen und Kollegen beginnen ganz klassisch mit „Liebe Gemeinde!“. So habe ich am Anfang meines Predigtlebens auch begonnen, weil man das halt so gemacht hat. Doch dann störte mich diese Distanz, die mit dieser Anrede entsteht. Da steht jemand, der jetzt der Gemeinde erzählt, was die Gemeinde zu tun hat. Zugegebenermaßen: Das klingt jetzt überspitzt, aber ich glaube, es wird deutlich, was ich meine. Daher ging ich später dazu über „Liebe Schwestern und Brüder!“ zu sagen. Das ist schon eine deutliche Veränderung zum distanzierten „Liebe Gemeinde!“ Seit etlichen Jahren bevorzuge ich das viel kürzere „Liebe Geschwister!“ Damit wird für mich noch deutlicher, dass ich als Gleicher und Gleichen predige. Und zugleich verzichte ich auch schon seit vielen Jahren darauf, von der Kanzel aus zu predigen, sondern vom Ambo – also dem Lesepult – um deutlich zu machen, dass ich nicht von oben herab predigen möchte, sondern als Mitglied dieser Gemeinschaft predige.

Mit dieser kurzen Einleitung zur Predigt, dem Kernstück des Evangelischen Gottesdienstes, zeichnet sich die Frage nach der Bedeutung der Predigt ab und der damit  für mich als Prediger verbundenen Aufgabe. Die gut protestantische  Kernaufgabe des Predigers ist es, das Evangelium so zur Sprache zu bringen, dass Gott selbst die Menschen durch das biblische Wort erreicht und das in einer Weise, die trösten, ermutigen oder dazu beitragen kann, das eigene Leben neu auszurichten. Meine Aufgabe als Prediger besteht darin, als Beauftragter das Wort Gottes öffentlich auszulegen und zu bezeugen. Auch hier kommt noch einmal ein spannendes Moment zum Tragen, auch wenn ich als Prediger – so in der Theorie – nicht sogenannte eigene Gedanken vortragen soll – habe ich doch die Aufgabe Zeugnis abzulegen. Und Zeugnis des Glaubens abzulegen, geht nicht anders als auch die persönliche Seite seines Glaubens, seine eigene Glaubenserfahrung mutmachend und mitmachend zum Ausdruck zu bringen.

Ich kann mich noch gut an meine Ausbildung im Predigerseminar erinnern, als einer meiner Lehrer das Predigtamt als „schweres Amt“ bezeichnet hat. Warum tat er das? Weil das Predigtamt mit einer besonderen Verantwortung vor Gott und den Menschen verbunden ist. Und damit kommt nun etwas ins Spiel, was wir authentisch nennen. Ich als Prediger soll mein eigenes Leben mit Hilfe des Evangeliums prüfen und mich selbst immer neu von der Heiligen Schrift in meiner Lebensführung korrigieren lassen. Es geht also um das, was Heinrich Heine einmal in seinem Versepos „Deutschland ein Wintermärchen“ als „Wein saufen und Wasser predigen“ bezeichnet hat. Damit kritisierte Heine die Heuchelei von Geistlichen, die der Gemeinde gegenüber Enthaltsamkeit predigen, aber selbst ganz anders leben. Mit anderen Worten kann man also zusammenfassen: Wenn ich Wasser predige, muss ich auch Wasser trinken. Und damit wird deutlich. Dass eine Predigt nur dann Wirkung erzielen kann, wenn ich glaubwürdig bin.

Wie aber ist die Predigt in den Gottesdienst gekommen? Welchen Ursprung hat eigentlich die Predigt? Und warum ist die Predigt so wichtig? Die Paulusbriefe und gleichermaßen die Reden der Apostel heben die Bedeutung der Auslegung der Schrift hervor. Es geht ums Ermahnen und Trösten, den Zeigefinger und das in den Arm nehmen. Und der Zeigefinger ist nicht der „Du, du, du-Finger“, sondern der hinweisende Finger, der mir den Weg zeigen möchte. Mahnen ist also Ermutigung zur Neuausrichtung, zur Nachfolge.

Mit Martin Luther ist die Predigt ins Zentrum des Gottesdienstes gerückt, weil für ihn das Predigen des Evangeliums der höchste Gottesdienst ist, weil Gott durch das Wort Glauben schafft.

Und damit ist bis zum heutigen Tag die Predigt der Ort, an dem die konkrete Lebenssituation des Menschen, der die Predigt hört, mit dem Evangelium, dem Wort Gottes miteinander ins Gespräch kommt.

Ein absolutes No Go in der Predigt gibt es aber auch. Und das ist insbesondere für uns als Evangelische Kirche eine besondere Herausforderung, nämlich die Frage des Politischen in der Predigt. Eine bloße Meinungspredigt oder gar parteipolitische Werbung verfälscht den Verkündigungsauftrag. Manchmal sind die Grenzen hier nicht so deutlich zu erkennen. Nicht umsonst erreicht uns immer wieder der Vorwurf der Parteinahme für die eine oder andere Partei oder die Abkanzelung politischer Richtungen oder Parteien. Und dieser Vorwurf muss ernst genommen werden, weil wir auf der einen Seite mit der Verkündigung ja möglichst alle erreichen wollen und zum anderen als Kirche keine politische Partei sind und dennoch ein Player im gesellschaftlichen und politischen Leben einer Kommune oder eines Landes sind.

Abkanzelung ist hier ein schönes Stichwort. Es geht in der Predigt nicht darum, andere Menschen abzukanzeln, also von der Kanzel herab zu verurteilen oder auszugrenzen, sondern es geht darum, die Menschen neu auszurichten, nämlich auf die Nachfolge Jesus Christi. Und da dürfen wir nicht sagen, dass die Partei x, y, z, nicht gewählt werden darf, weil wir da den Menschen vorschreiben etwas zu tun oder nicht zu tun. Wenn wir aber wollen, dass die Menschen vom Evangelium bewegt leben, dann müssen wir Ihnen erklären, warum – und jetzt nehme ich beispielhaft einen prominenten Begriff – Remigration in einem Widerspruch zu dem steht, was wir glauben und uns Jesus Christus mit auf den Weg unseres Leben gegeben hat. So, und an der Stelle wird deutlich, was die Predigt leisten soll, nämlich das Evangelium unter die Menschen zu bringen, damit sie neu und auch tiefer zum Glauben finden und insbesondere auf dieser Basis Orientierung für ihr Leben finden.

So, aber nun zum Schluss noch andere Frage: Wenn im Gottesdienst tolle Musik gespielt wird, also wir Musica praedicat haben, wird im Anschluss ja gerne applaudiert. Ich selbst habe es in über dreißig Predigtjahren einmal erlebt, dass es nach einer Predigt von mir sogar Standing Ovations gab. Aber warum wird in der Regel nach guter Musik applaudiert, nicht aber nach einer Predigt? – Der Applaus gehört eigentlich nicht in den Gottesdienst, weil der kulturelle Ursprung Applauses aus der Welt des Theaters stammt und dort seine kulturellen Wurzeln hat. Dennoch hat er sich in den vergangenen Jahren über die Kirchenmusik in den Gottesdienst hineingeschlichen. Bei der Predigt hat es sich noch nicht wirklich eingeschlichen und das hat einen ganz einfachen Grund: Es geht nicht um meine Performance als Pfarrer, sondern um Gott, der durch das menschliche hindurch redet.

Pfr. Martin Dubberke