Themenpredigt - Maria Magdalena

Liebe Gemeinde! Eine Frau ändert ihr Leben. Das bisherige Spiel spielt sie nicht mehr mit. Couragiert tut sie, was ihr niemand zugetraut hätte. Nicht nur ihren guten Ruf setzt sie aufs Spiel, sondern ihr Leben. Denn es geht ihr um die Wahrheit. Und um Wahrhaftigkeit. Sie muss tun, was sie tut. Das macht sie berühmt, auf der ganzen Welt und lässt sie zum Vorbild für viele werden.

Von wem spreche ich? Erraten Sie es?

Genau, ich erzähle heute die Geschichte von zwei Frauen. Die eine lebte vor 2000 Jahren in Palästina, die andere heute in Russland. Wer ihre beiden Geschichten betrachtet, kann erstaunliche Gemeinsamkeiten entdecken.

Beginnen wir mit der Gegenwart. Bis letzten Montag war sie nicht sonderlich bekannt, in den letzten Tagen aber ging ihr Name um die ganze Welt: Marina Owsiannikowa, 43 Jahre alt, zweifache Mutter, Journalistin und Mitarbeiterin beim russischen Staatsfernsehen. Während der Live-Übertragung der Nachrichten am Montag, 14. März springt sie plötzlich hinter Nachrichtensprecherin ins Bild und hält ein Schild hoch mit der Aufschrift: "Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen" Dazu ruft sie mehrmals laut: "Nein zum Krieg, Nein zum Krieg, Nein zum Krieg!"

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Da bricht die Übertragung ab; es werden Bilder aus einem Krankenhaus gezeigt. Marina wird ergriffen und abgeführt. Einen Kommentar des Senders gibt es nicht. Aber viele Tausende haben es gesehen, zur besten Sendezeit. Manche wird die Szene irritiert und verwirrt haben, andere werden ins Nachdenken gekommen sein oder sich bestätigt gefühlt haben. Der ukrainische Präsident hat Marina Owsiannikowa gedankt für ihren Mut und ihren Einsatz. In Russland wurde sie inzwischen zu einer Geldstrafe verurteilt – doch viele vermuten, dass es dabei nicht bleiben wird. Die Frau ist gefährdet, weil sie zur Opposition gehört.

Auch die andere Frau, von der heute die Rede sein soll, war umstritten. Auch sie hat couragiert ihre Botschaft vertreten, sich mit mächtigen Männern angelegt und dabei ihr Leben riskiert. Apostola Apostolorum, die Apostelin aller Apostel, hat Augustinus sie genannt. Bis heute ist sie eine der herausragenden Frauengestalten in der christlichen Überlieferung. Allerdings musste sie auch als Projektionsfläche für Phantasien herhalten und wurde Opfer theologischer Verwechslungen: Maria Magdalena. Hören wir zunächst, was der Evangelist Lukas von ihr berichtet:

Es begab sich, dass Jesus von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf zog und predigte und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes; und die Zwölf waren mit ihm, dazu etliche Frauen, die er gesund gemacht hatte von bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, genannt Magdalena, von der sieben Dämonen ausgefahren waren, und Johanna, die Frau des Chuza, und Susanna und viele andere, die ihnen dienten mit ihrer Habe. (Lk 8,1-3)

Nicht nur die zwölf Jünger, sondern auch Frauen gehörten demnach zum engsten Umkreis Jesu. Einige von ihnen müssen wohlhabend gewesen sein, sie „dienten mit ihrer Habe“, d.h. sie sorgten mit ihrem Geld für Essen, Unterkunft und den täglichen Bedarf Jesu und seiner Gefährten.

Für damalige Verhältnisse eine höchst ungewöhnliche Situation: Frauen machen sich mit Jesus auf den Weg. Sie verlassen zumindest zeitweise ihre Familien, um sich ihm und seiner wandernden Schar anzuschließen. Sie wollen dabei sein, wenn er Kranke heilt und den Armen das Evangelium predigt. Sie unterstützen ihn – ideell und finanziell. Unter ihnen ist Maria Magdalena, die Maria, die aus dem Dorf Magdala am See Genezareth stammt. Jesus, so wird erzählt, habe sie von „sieben Dämonen“ befreit. Böse Geister waren damals ja die Erklärung für unheimliche Krankheiten wie Epilepsie, Schizophrenie oder manisch-depressive Zustände. Jesus also heilt Maria Magdalena; die Begegnung mit ihm verändert sie und ihr ganzes Leben. Sie schließt sie sich ihm als Jüngerin an und wandert mit ihm bis zur Endstation nach Jerusalem.
 

Die Geschichten von der Kreuzigung und Auferstehung Jesu kommen ohne diese bemerkenswerte Frau nicht aus. Übereinstimmend berichten alle vier Evangelien, dass Maria Magdalena bei der Hinrichtung Jesu anwesend war. So lesen wir bei Johannes:

Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria Magdalena. (Johannes 19,25)

Von den Jüngern dagegen keine Spur. Ausnahme: der Lieblingsjünger Johannes, von dem erzählt wird, er habe zusammen mit den Frauen unterm Kreuz gestanden.

Warum aber ließen die Jünger Jesus in der Stunde seines Todes allein, während Frauen in seiner Nähe aushielten? War es damals so, wie es seit Jahrtausenden eben war: zwischen Hebammen und Klageweibern spielte sich das Leben ab. Frauen standen an seinen Schwellen, am Beginn und am Ende. Noch heute erlebe ich es immer wieder: Wo Männer es oft kaum aushalten können, an häuslichen Pflegebetten oder in Palliativstationen, bleiben die Frauen standhaft da. Beistand – im besten Sinne.

Zur Zeit Jesu war es krass: Die Römer setzten ihre Macht mit allen Mitteln durch. Sie waren nicht empfindlich als Besatzungsmacht. Ihre Strafe für Aufstände war der Tod. Der Tod am Kreuz. Für die Verwandten und Freunde eines Verurteilten hatte eine Kreuzigung schwere Konsequenzen: Ein Gekreuzigter blieb in der Regel zur Abschreckung am Kreuz hängen, so lange, bis die Tiere seinen Leichnam gefressen hatten. Die Verweigerung der Bestattung war ein grausamer Teil der Strafe, die auch Freunde, Verwandte oder Anhänger treffen sollte. Das war der Grund, dass gekreuzigte Leichname von römischen Soldaten bewacht wurden, damit niemand sie stehlen und anständig bestatten und betrauern konnte. Genau wie die Bestattung war nämlich auch die Trauer um Hingerichtete streng verboten. Menschen, die über den Tod eines Gekreuzigten öffentlich weinten, liefen Gefahr, selber hingerichtet zu werden.

Wenn Maria Magdalena und die anderen Frauen sich also in der Nähe des Kreuzes aufhielten, nahmen sie ein extrem hohes Risiko auf sich, denn die Justiz schonte auch Frauen und Kinder nicht. Es war ein Glück und eine große Ausnahme, dass Josef von Arimathäa den Leichnam Jesu bekam; vermutlich war da Bestechungsgeld im Spiel.

Zum Grab zu gehen war dann ebenfalls gefährlich, denn die Römer befürchteten, dass die Gräber hingerichteter Gegner zur Wallfahrtsstätte von Gesinnungsgenossen werden könnten. Maria Magdalena nimmt dieses Risiko auf sich. Sie macht sich früh am Morgen des dritten Tages auf den Weg zum Grab, um den Leichnam Jesu zu salben. Eine letzte zärtliche Wohltat will sie damit dem geschundenen Leib Jesu erweisen, noch einmal ihm nahe sein. Begreifen, was geschehen ist. Im Johannesevangelium finden wir dann eine innige Schilderung dessen, was sie dort erlebt:

Weinend steht Maria vor dem Grab, als sie zwei Engel erblickt. Die fragen sie: „Frau, warum weinst du?“ Sie antwortet ihnen: „Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“
Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr: „Frau, warum weinst du? Wen suchst du?“ Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: „Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.“
Spricht Jesus zu ihr: „Maria!“ Da wendet sie sich um und spricht zu ihm: „Rabbuni! Meister!“
Spricht Jesus zu ihr: „Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott!“
Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: „Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.“ (Joh. 20,14-18).

Diese Szene rührt mich an. Maria erkennt Jesus erst, als er sie bei ihrem Namen nennt. Sie wiederum möchte ihn berühren und umarmen, aber Jesus ist nicht mehr der, der er vor seinem Tod war. „Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht zu meinem Vater aufgefahren“, wehrt er ab.

In diesen wenigen Worten wird spürbar, wie nahe die beiden sich gewesen sein müssen. Mit Sicherheit war Maria Magdalena die Frau, die Jesus am nächsten stand. So erfährt sie folgerichtig als erste von allen Jüngern und Jüngerinnen, dass ihr Freund und Meister von den Toten auferstanden ist. Mehr noch, sie erhält von Jesus persönlich den Auftrag, seinen Jüngern diese frohe Botschaft zu überbringen. Maria Magdalena wird damit zur ersten Zeugin seiner Auferstehung, zu ersten Predigerin des Evangeliums, zur Apostola Apostolorum. Auch wenn man ihr anfangs nicht glaubt:

Es waren aber Maria Magdalena und Johanna und Maria, des Jakobus Mutter, und die anderen Frauen mit ihnen; die sagten das den Aposteln. Doch es erschienen ihnen diese Worte, als wär's Geschwätz, und sie glaubten den Frauen nicht. (Lukas 24,10-11)

Eine Frau geht an die Öffentlichkeit. Mutig und couragiert. Weil sie überzeugt ist von der Wahrheit – und weil sie diese Wahrheit als Botschafterin des Lebens an den Mann und an die Frau bringen will. Sie riskiert dabei nicht nur, ausgelacht und nicht ernst genommen zu werden, sondern sie riskiert letztlich ihr Leben für diese Botschaft.

Warum?

Marina Owsiannikowa hat in einem Video die Gründe für ihre Aktion dargelegt: Sie möchte gewissermaßen die letzten acht Jahres ihres Berufslebens sühnen. Sie entschuldigt sich, dass sie als Fernsehjournalistin so lange mitgespielt und die Propaganda unterstützt habe: „Wir haben 2014 nichts gesagt, als es mit der Annexion der Krim begonnen hatte. Wir haben nicht protestiert, als der Kreml Nawalny vergiftet hat. Wir haben diesem unmenschlichen Regime nur schweigend zugesehen. Jetzt hat sich die ganze Welt von uns abgewandt, und zehn Generationen unserer Nachkommen werden diesen Bruderkrieg nicht abwaschen können“, so sagt Marina Owsiannikowa. Mit ihrer mutigen Tat möchte sie auch andere inspirieren, endlich für die Wahrheit einzutreten.

Mutige Frauen, liebe Gemeinde. Marina und Maria. Mächtigen Männern passen solche Frauen oftmals nicht. Damals wie heute. „Das Weib schweige in der Gemeinde!“ (1. Kor. 14,34) schreibt Paulus einmal. Wie oft musste dieser Satz dazu herhalten, Frauen in der Kirche mundtot zu machen. Dabei widerspricht er doch klar dem Auftrag Jesu, dass Maria Magdalena als erste Osterzeugin zu den Jüngern gehen und ihnen das Evangelium seiner Auferstehung verkündigen soll.

Warum aber stehen dann solche Sätze in der Bibel? Warum gibt es derartig unheilige, Unheil stiftende Worte im Buch der Bücher? Ich denke, weil selbst die Heilige Schrift ein Spiegel ihrer Zeit ist. Die jungen christlichen Gemeinden haben, wie sollte es anders sein, bereits darum gestritten, wer Einfluss haben sollte und mit apostolischer Autorität auftreten durfte. Und wer eben nicht. Wie überall auf der Welt ging es auch damals schon um die Frage von Macht und Durchsetzungskraft. Konnte da eine Frau wirklich die gleiche Autorität haben wie ein Mann?

Wir haben es gehört: Die Jünger glaubten Maria Magdalena nicht. Weil man Frauen überhaupt nicht glaubte. Weil sie gar nicht zugelassen waren als Zeuginnen vor Gericht. Weil ihre Worte eh nur dummes Geschwätz waren.

Bis heute ist es für Frauen keine ungewohnte Erfahrung, dass ihren Worten kein Glaube geschenkt wird. Dass ihnen nicht zugetraut wird, mit der gleichen Autorität sprechen zu können wie Männer. Das erleben wir noch immer quer durch alle Berufe, etwa bei Bewerbungen: Einer Frau wird oftmals weniger zugetraut. Auch unsere christlichen Kirchen folgten über Jahrhunderte hinweg der üblichen männerdominierten, patriarchalen Tradition. Erst 1975 ist bei uns in Bayern die Frauenordination eingeführt worden. Das ist noch keine fünfzig Jahre her.
 

Maria Magdalena ist für mich eine wunderbare Mahnerin dafür, dass Frauen und Männer in Gottes Namen gleichberechtigt und mutig die Wahrheit bezeugen sollen. So wie Paulus im Galaterbrief schreibt:

„Ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus. … Zur Freiheit hat euch Christus befreit, darum lasst euch nicht wieder unter das Joch der Knechtschaft drücken“ (Galater 3,26-28 und 5,1)

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne, unser Denken und unser Handeln, in Christus Jesus und seiner Freiheit. Amen.

Uli Wilhelm

Predigt am Sonntag Okuli, 20. März 2022, in der Johanneskirche zu Partenkirchen

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Eingangspsalm: Ps 32,1–7
AT-Lesung: 2. Mose 34,4–10
Epistel: Jak 5,13–16
Predigttext: 2. Mose 34,4–10
Evangelium: Mk 2,1–12
Wochenlied: EG 324: Ich singe dir mit Herz und Mund
Liturgische Farbe: Grün


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