Liturgie - Kanzelgruß

Liturgie 24 - Kanzelgruß
Bildrechte Martin Dubberke
Wer glaubt, dass nach dem Lied vor der Predigt sofort die Predigt anfängt, hat ein kleines Detail übersehen: den Kanzelgruß. Der bekannteste Kanzelgruß stammt aus der Offenbarung des Johannes:

Gnade sei mit Euch von dem, der da war, der da ist und der da kommen wird. (Offenbarung 1,4)

Ich persönlich liebe diesen Kanzelgruß und ich glaube, wer mich im Gottesdienst erlebt, kann mir das auch ansehen, denn mit der linken Hand symbolisiere ich „der da war“, mit der linken „der da ist“ und dann hebe ich beide Hände nach oben und sage, „der da kommen wird.“ Dieser Vers aus der Offenbarung unterstreicht, dass Gottes Gnade eine überzeitliche Realität ist. Gott ist eben ewig gegenwärtig. Er wirkte in der Vergangenheit. Er wirkt in der Gegenwart und natürlich wird er auch in der Zukunft wirken. Damit wird die Gemeinde in das Kontinuum des göttlichen Heilshandelns hineingenommen und zugleich daran erinnert, dass es im Leben keine Zeit ohne Gott gibt.

Und weil es keine Zeit ohne Gott gibt, ist es gut, auf das Wort Gottes zu hören und der Frage nachzugehen, was das Wort für die Zeit und die Situation, in der man als Christenmensch in der Gemeinde und der Welt lebt, bedeuten könnte, welche Konsequenzen das für mein eigenes Handeln und Denken haben kann.

Der Kanzelgruß markiert im Gottesdienst also nicht nur den Übergang zur Predigt als einem liturgisch eigenständigen Geschehen, sondern bindet die Gemeinde auch in die apostolische Tradition ein. Die Formel „Gnade sei mit euch“ kennen wir insbesondere aus den paulinischen Briefen, wo Paulus mit diesen Worten seine Gemeinden begrüßt, bevor er gewissermaßen mit seiner Predigt beginnt, also dem, was er seiner Gemeinde mit auf den Weg geben möchte. Der Kanzelgruß, der sich an den neutestamentlichen Briefgrußformeln orientiert, ist damit Ausdruck dieser Kontinuität.

Nebenbei gesagt, früher kniete nach dem Kanzelgruß der Pfarrer nieder zu einem stillen Gebet, das der Vorbereitung auf die Predigt dienen und die Gemeinde in Andacht versetzen sollte. Der Pfarrer zeigte damit seine Demut vor Gott und bat um den Heiligen Geist für eine klare Verkündigung und offene Herzen bei den Gottesdienstbesuchern. Heute ist dieses Gebet optional und wird im Stehen gesprochen.

Pfr. Martin Dubberke